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Ein Interview mit Doris Anselm

Die Protagonistin deines Romans – sie hat keinen Namen, vielleicht nennen wir sie einfach Hautfreundin? – flirtet Männer direkt an, statt abzuwarten oder zum Beispiel Online-Dating zu nutzen. Sie vertraut ihrem Instinkt und findet es normal, auch mal eine Abfuhr zu kassieren. Wie kamst du zu so einer starken, selbstbewussten Protagonistin?

Solche Frauen gibt es ja, sie haben mir nur in der Literatur gefehlt. Besonders in der erotischen. Da ist es oft noch so, dass eine etwas unerfahrene oder unsichere Frau von einem Mann irgendwie sexuell »erweckt« wird. Oder dass sie von außen betrachtet wird, mit einem im Grunde männlichen Blick. Ich wollte etwas Anderes machen. Deswegen kommen neben dem Namen auch viele optische Aspekte wie Haarfarbe oder Figur im Roman überhaupt nicht vor. Genauso wenig wollte ich das andere Extrem, eine Art »männermordende« Frau, die im Grunde nur Sexismus unter umgedrehtem Vorzeichen praktiziert. Also Männern wenig respektvoll gegenübersteht. Ich wollte beschreiben, was aus Sex werden kann, wenn er in einer Art freundschaftlichem Kontext passiert. Daran hatte ich bei dem Titel Hautfreundin gedacht.

Im Buch heißt das dann »Sex, der nichts anderes sein muss, keine Unterschrift, die man einander gibt und regelmäßig erneuert, keine Trophäe, nichts, was der Verlierer dem Gewinner schuldet, oder umgekehrt.« Steckt da Kritik an romantischer Liebe, Ehe, Monogamie drin?

Eine gewisse Hollywood-Romantik-Ideologie finde ich schon ziemlich dominant, ja. Aber vielleicht wollte ich weniger das Eine kritisieren als das Andere verteidigen: Leute, die nicht die romantische Liebe verfolgen, sondern zum Beispiel promisk leben, werden oft übel dargestellt. Als ob sie andere Menschen bloß »konsumieren«, als ob sie in Wahrheit alle tief innen ganz unglücklich sind und ihnen etwas fehlt, als ob ihre Lebensweise eigentlich selbstzerstörerisch ist, und so weiter. Dabei gibt es auch hier Empathie, manchmal vielleicht sogar mehr davon. So wie man zu Fremden manchmal höflicher ist als zum Ehepartner.
»Er sagte das Wort. Das eigentliche, ursprüngliche Wort. Das Wort, das nicht in Ordnung war. Er sprach es zwischen meine Beine, in meinen Körper hinein, immer wieder. Er sprach das Wort mit dem Wort an, voller Genuss, als ob er es gar nicht oft genug und klar genug sagen konnte. Er betonte es prunkvoll, geradezu schwülstig. Er sagte, dass er mein Wort so gern schmecke. Dass er daran saugen wolle, oh ja, ob er das dürfe, mein Wort richtig schön auslecken, bitte, und dass ich, nein, dass ich mich doch nicht wegdrehen solle, bitte nicht, dass er so auf mein Wort stehe, dass es so heiß sei, so schön, dass ich es ihm zeigen solle, das ganze Wort, weil es so gut sei, ja, dass ich es ihm geben solle, mein Wort, und meine Finger, oh ja, genau so.«
aus: Doris Anselm, »Hautfreundin«
Die Sexszenen in deinem Roman sind teils noch um einiges deutlicher als diese hier. Aber immer wieder geht es auch um die Frage, wie Körperteile und sexuelle Handlungen benannt werden. War es schwer, diese Szenen zu schreiben, vielleicht auch, weil manche Ausdrücke durch Pornos »verheizt« sind?

Ja, es war sehr schwierig. Und sehr schön! Pornos, tja … Es gibt ja auch wunderbare, fair produzierte, aber längere Tradition hat leider die Entwürdigung von Frauen, oder zumindest ihre Darstellung nur im Dienste männlicher Fantasien. Und das gibt vielen Ausdrücken einen ekligen oder dummen Beigeschmack. Wenn in einer Geschichte Figuren Spaß beim Sex haben, scheint das immer unter Pornografieverdacht zu stehen. Ich habe das Gefühl, dass in der Literatur deshalb viel häufiger schlechter Sex beschrieben wird als guter. Vielleicht auch, weil man dadurch Konflikt und Spannung erzeugen kann? Also wäre auch in der Literatur Sex oft nur Mittel zum Zweck. Ich fand einfach, er hat mal wieder eine Hauptrolle verdient.

Andererseits sind Sex und Porno sowieso schon allgegenwärtig, muss die Literatur da unbedingt nachziehen?

Ich sehe es nicht als Nachziehen. Eher als anreichern oder umdeuten. Porno als Film und Bild hat die Tendenz, einen sprachlos zu machen. Fast alle gucken Pornos, aber im Bett fällt es uns schwer, präzise und respektvoll zu formulieren, was wir möchten. Gute erotische Literatur kann da mit neuen Möglichkeiten experimentieren.

Eine weniger moralistisch klingende Kritik an Sexszenen lautet häufig, dass sie gerade durch Explizitheit langweilig würden. Wie gehst du damit um?

Oh ja, es heißt dann immer gern, man solle doch bitte lieber nur »die Verführung« beschreiben, alles Weitere würde ja viel zu »technisch«. Daran macht mich schon misstrauisch, dass Autorinnen und Autoren sonst jede kleine, alltägliche Handbewegung einer Figur nutzen, um etwas zu zeigen, um poetische Funken zu schlagen, und ausgerechnet bei der allernächsten menschlichen Interaktion soll das nicht gehen? Außerdem sagt diese Beschreibung von Sex als »bloß technisch« ja einiges über denjenigen, der Sex so sieht. Ich finde, das ist eine arme Vorstellung, bei der es eigentlich nur ums Rumkriegen geht, ums Besiegen. Als ob dann im Bett gar keine Individuen mehr anwesend sind, sondern nur noch technische Vorrichtungen. Vielleicht hat man Männern früher so einen Blick von angeblichem sexuellem Erfolg mitgegeben. Wenn ich eine steile These aufstellen dürfte, würde ich sagen: Wer ein solches Bild von Sex hat, wird nicht nur schlechten Sex schreiben und lesen, sondern auch haben.

Welche positiven Vorbilder gibt es dagegen, und in welcher literarischen Tradition siehst du deinen Roman?

Erstmal habe ich kreuz und quer gelesen, von Ovids »Liebeskunst« über Marguerite Duras’ »Der Liebhaber« bis zu Genre-Erotikbüchern von Sophie Andresky und Lulu Bachmann. Die letzten sind Pseudonyme, und bei einem weiß ich, dass eine namhafte, tolle Autorin dahintersteckt. Schade, dass sie anscheinend befürchten musste, mit Erotik ihren Ruf buchstäblich zu versauen. Das war auch ein Grund, warum ich die »Hautfreundin« unter meinem bürgerlichen Namen schreiben wollte. Ich möchte das Thema wertgeschätzt sehen. Aber nochmal zurück zur literarischen Tradition: Mir hat viel gefallen – und immer irgendwas gefehlt. Ich mochte Nicholson Bakers humorvollen Blick auf Sex und die Sinnlichkeit in den Erzählungen von A.L. Kennedy. Benoite Groults »Salz auf unserer Haut« beeindruckt mich immer noch durch seinen Tonfall: wie liebevoll Körperliches beschrieben wird. Wunderbar genau beobachtete Sexszenen habe ich ausgerechnet in einem Klassiker der schwulen Literatur gefunden, »Die Schwimmbad-Bibliothek« von Alan Hollinghurst.

Deine Protagonistin ist heterosexuell – hast du mal überlegt, sie im Sinne ihrer Experimentierlust auch andere Erfahrungen machen zu lassen?

Überlegt schon. Aber es hat sich beim Schreiben nicht natürlich ergeben. Und dann fand ich, für die Hautfreundin gilt, was für jeden realen Menschen auch gilt: Sexuell das machen, worauf man Lust hat, aber nicht das, wovon man denkt, dass man es gemacht haben müsste. Da liegt für mich auch der Unterschied zwischen Experimentierlust und sexueller Verfügbarkeit. Ich finde schon, dass jetzt längst die Geschichten von Hautfreund*innen mit homo-/trans- und ganz anderen sexuellen Biografien interessant sind. Aber dann vielleicht konsequenter und nicht aus dem Blick einer »Touristin«. Und bisher fehlte mir in der Literatur sogar die heterosexuell selbstbewusste Protagonistin von heute! Ich konnte das beim Lesen immer gar nicht glauben. Es war ein bisschen, als käme einfach nirgends ein Marmeladenbrot vor. Dabei sind Marmeladenbrote wirklich nichts Spezielles und viele Leute mögen sie.
»Sein entspannter Penis fühlt sich leicht an, gar nicht en garde; niemand käme auf die Idee, ihm Waffen- oder Werkzeugnamen zu geben. Er liegt in meinem Mund wie ein Streifen reifer Mango, und ich werde ganz schläfrig. Es ist wie bei einem sehr frühen Frühstück, wenn ich mehr meinen Traumresten nachhänge als zu essen. Vielleicht nehme ich noch ein Ei dazu.«
aus: Doris Anselm, »Hautfreundin«
Die literarischen Bilder, die du für Sexuelles findest, sind außergewöhnlich. Sanft, lustvoll, poetisch - aber immer wieder auch witzig und schräg. Welche Rolle spielt Humor beim Schreiben über Sex?

Vielleicht eine ähnliche wie bei Sex generell? Humor kann uns entspannen und überhaupt erst öffnen für einen erotischen Moment. Aber man kann auch Dinge »weglachen«, weil man sich nicht an sie herantraut, obwohl sie wichtig wären. Das ist mir beim Schreiben teils auch passiert. Anfangs gab es viel mehr Stellen, an denen meine Figuren beim Sex über irgendwas lachen. Aber oft habe ich dann gemerkt, dass ein viel interessanteres Thema darunterlag, das ich selbst vermieden habe! Da musste ich dann weiterarbeiten. Sex ist eben immer emotional. Ich glaube ja, »bedeutungslosen Sex« gibt es gar nicht.

Über das Gefühl während ihres »ersten Mals« sagt die Hautfreundin: »Alles was in mir ist, gehört mir.« So einen selbstbewussten, starken Satz habe ich über ein sexuelles Erlebnis einer jungen Frau noch nicht gelesen. Geht es dir auch um Empowerment?

Das ist lustig. Ursprünglich wollte ich nämlich schreiben: »Alles, was in mir ist, gehört ZU mir«. Ich habe mich vertippt. Dann habe ich den Satz angeguckt und gedacht: Eigentlich passt er so viel besser zu einer Frau, die sich selbst jemanden sucht für ihr erstes Mal. Sie nimmt sich die Erfahrung. Und dann fand ich es auch lustig, dass der Satz ein bisschen mit alten absurden Männer-Ängsten spielt, Stichwort »Vagina dentata«, das ist der Mythos von einer Scheide mit Zähnen, die den Penis praktisch einbehält.

Der Roman erzählt episodisch, spannt aber einen Bogen von der Teenagerzeit der Hautfreundin bis in eine fast Science-Fiction-artige Zukunft. Du hast bisher Preise für deine Kurzgeschichten bekommen; dein von der Presse gelobter Band »und in dem Moment holt meine Liebe zum Gegenschlag aus« ist 2017 bei uns erschienen. Darin gab es ganz verschiedene Protagonisten. Warum begleitest du jetzt eine einzige Figur so lange?

Ich hatte zuerst wirklich überlegt, Geschichten ganz verschiedener Frauen zu erzählen. Aber dabei hätte ich Entwicklungen nicht so gut darstellen können. Die Hautfreundin macht ja auch Fehler, merkt das teils erst spät und versucht dann, daraus zu lernen. Außerdem verringert so ein langer Bogen die Gefahr, dass eine Frauenfigur bei diesem Thema doch wieder bloß zum kurzfristig angeguckten Objekt wird, dem sexuell irgendwas zustößt. Echte Frauen haben komplexe sexuelle Biografien, die sie durch viele Entscheidungen selbst schreiben.
»Irgendwo neben uns zieht ein Drucker seufzend Papier ein. Jemand beendet ein Telefonat und legt auf. Wir sehen einander in die Augen. Wir stehen da, zwei Erwachsene in ihrer jeweiligen Rolle, und dann dehnt sich der Moment über uns aus, wölbt sich, schillert, zerplatzt. Abrupt wendet Herr Neumann sich zum Gehen. Ich folge ihm. An solchen Unregelmäßigkeiten bin ich schon immer hängen geblieben. Interessante kleine Webfehler im Alltag, scheinbar überflüssige, verdächtig unprofessionell gearbeitete Schlaufen.«
aus: Doris Anselm, »Hautfreundin«
Vielen Frauen wird aber auch immer noch ein Teil ihrer sexuellen Biografie gewaltsam aufgezwungen. Sie haben mit Belästigungen und Sexismus zu kämpfen. Stichwort #MeToo-Debatte – wie würdest du deinen Roman da verorten?

Ich würde ihn erstmal gar nicht »in« der Debatte verorten. Bei #MeToo ging es ja nicht um sexuell besonders aktive Frauen, sondern um gewaltsame Sexualisierung dort, wo Sex nicht hingehört. Teils als Machtinstrument, um zum Beispiel die Kompetenz und Entscheidungsfreiheit von Frauen zu sabotieren. Natürlich gibt es sexuelle Unterströmungen zwischen Menschen, auch dort, wo sie anstößig sind oder ungelegen kommen. Manchmal bildet man sich eine solche Unterströmung auch nur ein. Wann darf und wie soll man da nun handeln? Ich fand es interessant, mal eine Frau dieses Risiko tragen zu lassen. Wer baggert, hat Verantwortung. Die Hautfreundin muss abwägen, auf welche Weise sie Männern ihr Interesse zeigt, und wann es übergriffig wird.

Reden wir mal über diese Männer. Die Widmung des Romans scheint sich an sie zu richten und verrät nicht, ob sie aus Sicht der Protagonistin oder der Autorin verfasst ist. »Für euch«, heißt es da, »Für alles, was ihr mir gegeben habt, und für das, was ihr mir erspart habt«. Was ist das für ein Verhältnis zu Männern?

Ein gutes Verhältnis auf jeden Fall. Aber eins, in dem auch immer noch mitschwingt, dass von Männern Gefahr hätte ausgehen können. Statistisch scheinen Männer für Frauen ja übrigens umso gefährlicher zu sein, je mehr sie eine bestimmte Frau als ihnen zugehörig ansehen. Möglicherweise hat eine monogam lebende Frau also ein höheres Risiko, sexuell zum Opfer zu werden, als eine »Schlampe«. Beigebracht wird Mädchen immer das Gegenteil, komisch, oder? Aber wenn ich mal auf die #MeToo-Debatte zurückkomme: Da haben die Idioten sehr viel Aufmerksamkeit gekriegt. Die Debatte war extrem wichtig, aber manche Berichte hatten schon fast etwas von einer Anleitung: »Wie man garstig zu Frauen ist«. Ich hatte Lust, dagegen mal den »Guten« ein Denkmal zu setzen. Die Idioten keines Blicks zu würdigen, sondern von den Männern zu erzählen, die sozusagen anständig unanständig sind. Die auch mal warten können, mitspielen, sich hingeben, sich selbst durch die Augen einer Frau sehen. Das ist sexy. Und es gibt verdammt viele solcher Männer. Ich habe Anlass zu der Hoffnung, dass sie bald die Mehrheit stellen.

Das heißt, dein Buch ist auch eins für Männer?

Auf jeden Fall! Die rufen doch im Moment alle nach positiven role models! Und weniger politisch gedacht: Falls so ein Roman tatsächlich Bettgespräche anstoßen könnte über eigene sexuelle Ideen, würde mich das wahnsinnig freuen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Autorenfotos: © Bogenberger Autorenfotos

Hautfreundin. Eine sexuelle Biografie

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